This post is also available in: Português
Verfasst von Dietrich Köster
Der Süden des heutigen Brasiliens (die Staaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Paraná) war während des 18. Jahrhunderts ein zwischen den Kolonialmächten Spanien und Portugal umstrittenes Gebiet. 1778 wurde von diesen Nationen ein Abkommen geschlossen, das zu einer Übertragung der Küste des Golfs von Guinea einschließlich der Inseln Fernão do Pó (Fernando Póo) und Ano Bom (Annobón) auf Spanien führte. Andererseits gab Spanien seine Ansprüche auf den Süden des heutigen Brasiliens auf.
Diese Gegend war dünn besiedelt. Das war auch der Grund, daß die Gefahr der ausländischen Besetzung blieb, sogar nach der Unabhängigkeit des von der spanischen Kolonialherrschaft befreiten Argentiniens. Die Bedrohung setzte sich auch nach der Unabhängigkeit Brasiliens, als sich der portugiesische Kronprinz als Dom Pedro I. zum Kaiser von Brasilien erklärte, fort. Seine Gemahlin Kaiserin Dona Leopoldina – Tochter des Kaisers Franz I. von Österreich – förderte nachhaltig die Auswanderung von Menschen aus den verschiedenen Gebieten deutscher Sprache Mitteleuropas. Diese Auswanderung, die sich ab dem 25. Juli 1824 auf den Süden Brasiliens richtete, war ein bedeutender Beitrag für die Verteidigung und die Festigung der südlichen Grenzen des Kaiserreiches Brasilien.
Dieses Tages wird 2024 als des 200. Jahrestages der deutschen Einwanderung nach Brasilien gedacht. So begann die Geschichte der Siedler deutscher Sprache:
Die erste Gruppe der Einwanderer kam aus dem Hunsrück und gründete 1824 São Leopoldo. Sie rodete den Urwald und schuf Bauernhöfe mittlerer Größe (70 ha), ohne Sklaven als Arbeitskräfte zu beschäftigen.
Mit Hilfe ins Vale dos Sinos (Glockental) eingewanderter Handwerker entwickelte sich Novo Hamburgo (Neu-Hamburg) zu einem Zentrum der Schuhindustrie, die heute die bedeutendste in ganz Brasilien ist. Die Geschichte der deutschen Siedlung im Staat Rio Grande do Sul wird im Parque do Imigrante (Einwandererpark) in Nova Petrópolis, einer Stadt mit 90% Deutsch-Brasilianern, dargestellt. In São Leopoldo befindet sich das Museu do Imigrante (Einwanderermuseum) unter der Leitung von Prof. Telmo Lauro Müller. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Siedlung Blumenau von Dr. Blumenau, der aus dem damaligen Herzogtum Braunschweig stammte, gegründet. Pommern ließen sich in der Ortschaft Pomerode, eine Bezeichnung, die darauf hinweist, daß Menschen dieses deutschen Landes (Pommern) den Urwald gerodet haben, nieder. Heute ist Pomerode als die deutscheste Stadt Brasiliens bekannt.
Die Stadt Blumenau entwickelte sich zum bedeutendsten Standort der Textilindustrie von ganz Lateinamerika mit der Firma Hering als dem größten Unternehmen. Die Nachkommen der deutschen Einwanderer dieser Stadt feiern schon seit Jahren das Oktoberfest nach dem Vorbild von München, der Hauptstadt Bayerns.
1843 wurde die Stadt Petrópolis als kaiserliche Sommerresidenz unter Mitwirkung des deutschen Ingenieurs Köhler gegründet. 1845 trafen die ersten deutschen Siedler ein. Die Namen der verschiedenen Stadtteile Petrópolis’ erinnern an die Gebiete und Ortschaften, aus denen die Einwanderer kamen: Renânia (Rheinland), Mosela (Mosel), Simméria (Simmern), Castelânea (Kastellaun), Bingen, Ingelheim, Darmstadt.
Die gesetzliche Vorschrift von der Heydtsches Reskript, die Mißbräuche im Arbeitsleben Brasiliens aufdeckte, führte zu einer zeitweiligen Verringerung der Zahl der Einwanderer aus Preußen, dem damals größten deutschen Staat.
Für die erste Siedlergeneration war das Leben sehr hart. Alles hing von der Eigeninitiative der einzelnen Menschen und der Siedlergemeinschaft ab. Der brasilianische Staat kümmerte sich um nichts. Es war reine Notwendigkeit, daß die Siedler ihre eigenen Schulen und Kultureinrichtungen schufen. Die portugiesische Sprache spielte damals nur eine untergeordnete Rolle, weil die Siedler vom übrigen Brasilien noch recht isoliert waren.
Während in den 1920er Jahren eine kleine Auswanderungswelle nicht nur den Süden des Landes, sondern auch die großen Städte wie São Paulo und Rio de Janeiro erreichte, sahen die 1930er Jahre vor allem eine Zuwanderung von Juden, die von dem nationalsozialistischen Regime Deutschlands und Österreichs verfolgt wurden. So wurde die Stadt Rolândia im Staat Paraná in dieser Zeit von deutschen Juden gegründet.
Mit der Präsidentschaft von Getúlio Vargas (1930-45) mußte sich das private deutsche Schulsystem der deutschen Siedler unter dem Druck der Nationalisierungspolitik in öffentliche Schulen mit national-brasilianischer Ausrichtung umbilden.
1940 ereignete sich mit der militärischen Besetzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland etwas Außerordentliches:
Tausende vom Nazismus verfolgte Personen baten im portugiesischen Konsulat in Bordeaux im Südwesten Frankreichs um ein Visum für die Einreise nach Portugal. Es waren der Konsul Aristides de Sousa Mendes und seine Mitarbeiter, die 30.000 Visen ohne Ermächtigung durch den damaligen Vorsitzenden des Ministerrates António de Oliveira Salazar, der zu jenem Zeitpunkt zusätzlich das Amt des Außenministers bekleidete, ausstellten. Mit diesen Visen konnten die Verfolgten von Lissabon nach Übersee fliehen. Ein großer Teil hatte die Möglichkeit nach Brasilien, einem Land, das im Jahr 1940 noch den Status einer neutralen Macht besaß, auszuwandern. Tausende von Menschenleben wurden auf diese Weise gerettet.
Eine Ausstellung, die den früheren portugiesischen Konsul ehrt, wurde am 21. September 2004 eröffnet und war bis zum 23. Oktober desselben Jahres in der Nationalbibliothek in Lissabon zu sehen.
Während des 2. Weltkrieges – Brasilien schickte als einziges iberoamerikanisches Land ein Expeditionskorps auf den europäischen Kriegsschauplatz (Italien) – war es in Brasilien verboten, in der Öffentlichkeit deutsch zu sprechen.
Nach Ende der Feindseligkeiten entspannte sich die politische Lage. Eine neue deutsche Einwanderungswelle – auch wenn sie klein war – erreichte Brasilien. Dieses Mal handelte es sich um von den Nazis verfolgte Menschen und um alte Nazis, die jetzt eine Bestrafung wegen begangener Kriegsverbrechen befürchteten.
Darüber hinaus unterscheidet man zwei Gruppen:
Die Mennoniten – aus Rußland stammend – und die Donauschwaben, die 1945 aus dem ehemaligen Jugoslawien flüchteten. Beide Einwanderergruppen gründeten eigene Siedlungen im Staat Paraná mit dem Ziel, Landwirtschaft zu betreiben. Diese wirtschaftliche Betätigung ist inzwischen zu einem großen Erfolg und Vorbild für die anderen Einwohner von Paraná geworden.
Andererseits begann schon in den 1930er Jahren eine Einwanderung von qualifiziertem Personal aus Deutschland, das beim Aufbau der brasilianischen Industrie – besonders im Süden und Südosten – mitgewirkt hat. Heute ist die Region São Paulo der Teil Brasiliens mit der höchsten Industriedichte und das Gebiet, wo die deutsche Wirtschaft immer noch mehr investiert als in jedem anderen Teil der Welt.
Nach Schätzungen kamen 250.000 deutsche Auswanderer während der letzten 200 Jahre nach Brasilien, die zu 5 Millionen Nachkommen von Brasilianern deutscher Abstammung geführt haben. Dabei ist aber zu beachten, daß nicht alle der deutschen Sprache mächtig sind.
Copyright Juni 2024 von Dietrich Köster, D-53113 Bonn
This post is also available in: Português