von Dietrich Köster, Bonn
Von 1498 bis 1961 waren die Portugiesen an der Westküste Indiens nördlich und südlich von Bombay präsent. Es war die 1947 vom Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland unabhängig gewordene Indische Union unter Premierminister Pandit Nehru, die Portugal aus Goa, Damão und Diu – dem Estado Português da Índia – vertrieb. Dies geschah im Zeichen der von Nehru immer wieder beschworenen Gewaltlosigkeit des Nationalhelden Mahatma Ghandi und eigener Erklärungen, daß keine militärische Gewalt angewandt würde.
Tatsächlich ließ Nehru den Terrorbanden der Satyagraha-Bewegung (“Menschen der Gewaltlosigkeit”) freien Lauf. Subversion pur. Der damaligen indischen Regierung fehlte die Geduld. Hätten die Inder die Weisheit ihres Philosophen Rabindranath Tagore praktiziert, hätte die indische Regierung den portugiesischen Indienstaat nach dem Staatsstreich in Lissabon nur 13 Jahre später auf dem silbernen Tablett überreicht bekommen. Auch die Chinesen hätten sich die Inder zum Vorbild nehmen können. Diese haben sich mit der Wiedereingliederung von Hongkong und Macau Zeit gelassen. Statt militärische Gewalt anzuwenden, haben die Chinesen mit den Briten und Portugiesen Rückgabeverträge ausgehandelt. Auf diese Weise ist Hongkong kürzlich (01. Juli 1997) nach China zurückgekehrt. Für Macau ist der 20. Dezember 1999 als Übergabetermin vorgesehen.
Da Indien trotz aller Friedensbeteuerungen wenige Tage vor Weihnachten 1961 Goa, Damão und Diu durch seine Marine, seine Luftwaffe und das Heer erobern ließ, kann von einer Einhaltung der von Nehru auf der Bandung-Konferenz der afro-asiatischen Völker 1955 verabschiedeten hehren Grundsätze der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten der Nachbarstaaten und des Verbots der subversiven Tätigkeit gegenüber Nachbarn keine Rede sein.
So steht Indien seit 1961 als Aggressor vor der Weltöffentlichkeit. Nur das Veto der damaligen Sowjetunion verhinderte eine Verurteilung Indiens durch den VN-Sicherheitsrat. So läßt sich als Fazit nur Imperialismus einer Möchte-gern-Großmacht ausmachen, eines Landes, das nach der Erlangung der Unabhängigkeit bereits drei Kriege gegen seinen Nachbarn Pakistan geführt hat. Bei der widerrechtlichen Besetzung von Goa, Damão und Diu sind 67 Inder – nach indischer Lesart “Märtyrer” – und 25 Portugiesen gefallen. Während in Goa die Kämpfe kaum Opfer forderten, wurde in Damão und Diu erbitterter gekämpft, so daß es hier zu größeren Verlusten und Schäden gekommen ist.
Während bis zur Invasion von Nehrus Truppen Portugiesisch Amtssprache war, sollte diese nach der Annexion Englisch werden. Die einheimischen Sprachen Konkani in Goa und Gudscherati in Damão und Diu spielen im öffentlichen Leben eine untergeordnete Rolle. Schon in portigiesischer Zeit gab es in Goa mehr höhere Schulen mit englischer Unterrichtssprache als mit portugiesischer. Seit der Annexion wird Portugiesisch nur noch in wenigen Schulen als Unterrichtsfach angeboten.
Die letzte portugiesischsprachige Zeitung stellte mit Jahresbeginn 1984 ganz auf Englisch um. So wurde aus “O Heraldo” “Herald”. Die Zeitung “A Vida” hat ihr Erscheinen ganz eingestellt. So gibt es heute nur noch Zeitungen in Englisch und indischen Sprachen. Die einzige Portugiesisch-Lektüre, die ich im Buchhandel erwerben konnte, war die fünfbändige Schulbuch-Serie “UM PASSO NOVO” zum Erlernen der portugiesishen Sprache. Daneben gibt es die Möglichkeit, Portugiesisch auf der Universität von Goa zu studieren. Der vom Instituto Camões entsandte Lektor sprach von 60 Portugiesisch-Studierenden, die er zu betreuen habe.
Erst in jüngster Zeit bemüht sich die Fundação Oriente um eine architektonische Bestandsaufnahme der Sakralbauten von Alt-Goa. Hier ist noch viel zu restaurieren, um den weiteren Verfall der schützenswerten Baudenkmäler aufzuhalten. Auch die Unterschutzstellung als Weltkulturgut der UNESCO hat am baulichen Zustand der Überbleibsel des Goldenen Goa des 16. Jahrhunderts wenig geändert. Damals hieß es:
Quem viu Goa, não precisa mais ver Lisboa. – Wer Goa gesehen hat, braucht Lissabon nicht mehr zu sehen.
Das Museum in Alt-Goa enthält die Porträts von 105 Vizekönigen und Generalgouverneuren des ehemaligen portugiesischen Indienstaates der Jahre 1510-1961. Bezeichnenderweise stehen die überlebensgroßen Statuen von Afonso de Albuquerque, dem zweiten portugiesischen Vizekonig in Indien, und von Camões, dem größten portugiesischen Dichter, statt auf öffentlichen Plätzen heute im erwähnten Museum.
Die offizielle portugiesische Präsenz in Goa beschränkt sich heute auf ein Generalkonsulat und eine jüngst eröffnete Zweigstelle der portugiesischen Kulturstiftung Fundação Oriente. Die Verbreitung der portugiesischen Sprache beschränkt sich heute im wesentlichen auf den christlichen Teil der einheimischen älteren Generation.
Während Goa seit 1987 ein eigener Bundesstaat der Indischen Union ist, bilden Damão und Diu weiterhin ein von Neu-Delhi direkt verwaltetes Unionsterritorium.
In Damão traf ich auf einen ambulanten Händler, dessen Kollege mir erklärte, daß sein Landsmann nach Portugal einreisen möchte, um von dort zur Arbeitsaufnahme nach Großbritannien weiterzureisen. Dafür müsse er nachweisen, daß er vor 1974 in Damão geboren sei. So könne er als portugiesischer Staatsbürger nach Portugal gelangen, um im Rahmen der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union sich Großbritannien als Land auszusuchen, wo man das meiste Geld verdienen könne. Das Schreiben, das mir der junge Händler zeigte, enthielt geschwärzte Passagen, die die Personalien des Briefempfängers unkenntlich gemacht hatte. Der junge Briefbesitzer erfüllte weder die Altersvoraussetzungen (zu jung, um vor 1974 geboren zu sein), noch besaß er weder portugiesische, noch englische Sprachkenntnisse. Hier handelt es sich um einen Versuch, aus der Tatsache, daß Damão wie Goa und Diu bis 1974 von Portugal als portugiesisches Staatsgebiet betrachtet wurde, persönliches Kapital zu Arbeitszwecken zu schlagen.
Die Küste Goas wird von der Tourismusbehörde von Jahr zu Jahr immer stärker als Standort von Luxushotels für indische und internationale Badegäste ausgebaut, so daß der alte indo-portugiesische Charme zusehends verloren geht.