von Dietrich Köster, Bonn
Dili, die Hauptstadt von Osttimor, ist am leichtesten mit der Fluggesellschaft Merpati von Denpassar auf Bali zu erreichen und liegt auf halbem Weg nach Neuguinea. Während Macau von Hochhäusern geprägt ist, gibt es hier in der osttimorischen Hauptstadt – von seltenen Ausnahmen abgesehen – nur Häuser mit ein oder zwei Stockwerken. Daher macht Dili einen eher ländlichen Eindruck. Der zentrale Platz in Meeresnähe wird von den Gebäuden der Verwaltung des Gouverneurs gesäumt. Dieser besitzt zwar einen portugiesischen Namen, ist aber ein treuer Gefolgsmann der Regierung in Jakarta. Er gehört damit zu den wenigen Einheimischen, die die Integration in den indonesischen Staat gutheißen. Die überwältigende Mehrheit der im Lande verwurzelten Timorer verurteilt die militärische Eroberung von Osttimor durch indonesische Truppen im Dezember 1975.
Vorausgegangen war ein Kampf um die Macht zwischen der eher gemäßigten Demokratischen Union Timors (UDT) und der Revolutionären Front von Osttimor für die nationale Unabhängigkeit (FRETILIN). Seit der gewaltsamen Besetzung wehrt sich die Bevölkerung gegen die neuen Herrscher. Es entspann sich ein Guerillakampf zwischen den indonesischen Streitkräften und den Kämpfern der FALINTIL (Streitkräfte der nationalen Befreiung von Osttimor), dem, bedingt durch das brutale Auftreten der indonesischen Truppe, im Laufe von über 20 Jahren etwa ein Drittel der timorischen Bevölkerung zum Opfer gefallen ist.
Auch die junge Generation, die die indonesische Invasion nicht miterlebt hat, setzt sich für die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit Osttimors ein, auch wenn die jungen Leute nur geringe oder gar keine Portugiesischkenntnisse besitzen. Das neue Schulsystem sieht keine Erteilung von Unterricht in dieser Sprache vor. Vielmehr haben alle Schüler die auf dem malaiischen fußende Kunstsprache Bahasa Indonesia zu erlernen. Der einzige Personenkreis, der die Integration in den indonesischen Staat geschlossen begrüßt, sind die Zuwanderer, die im Rahmen des Umsiedlungsprogramms “Transmigrasi” der Regierung in Jakarta nach Osttimor gekommen sind. Dieser Personenkreis spricht im Gegensatz zu den Timorern der mittleren und älteren Generation kein Wort Portugiesisch, so daß sie leicht als landfremde Zuwanderer auszumachen sind. Diese haben zu einem nicht unbeträchtlichen Teil die 1975 nach Australien geflohenen chinesischen Geschäftsleute ersetzt.
Da das indonesische Regime nicht gefestigt ist, kommt es in der Hauptstadt Dili immer wieder zu Machtdemonstrationen des indonesischen Militärs und der Polizei in Form von Rundfahrten mit vollbesetzten Mannschafts-Transportfahrzeugen mit offenem Verdeck.
Die gesamte Beschriftung in der Öffentlichkeit und das Verlagswesen sind in Bahasa Indonesia gehalten. Es gibt keine allgemein zugänglichen Veröffentlichungen mehr in portugiesischer Sprache. Lediglich die Straßennamen aus der portugiesischen Zeit wurden beibehalten, indem statt rua oder avenida das indonesische Wort jalan der Straßenbezeichnung vorangestellt wurde. Als einzige weitere Erinnerung gibt es in Dili mehrere Denkmäler mit portugiesischer Inschrift. Eines davon erinnert an die 500-Jahrfeier des Todes von Heinrich dem Seefahrer im Jahre 1960. In Dili und Baucau gibt es daneben sogenannte Integrationsdenkmäler mit Bahasa Indonesia-Inschrift, die dem Betrachter weismachen sollen, daß die Timorer mit der Waffe und der indonesischen Flagge in den Händen bereit waren, für den Anschluß Osttimors an Indonesien ihr Leben zu opfern. Diese beiden Denkmäler werden jeden Tag Lügen gestraft, da indonesische Besatzungssoldaten in regelmäßigen Abständen ausschwärmen, um der letzten FALINTIL-Kämpfer in den Bergen der Insel habhaft zu werden. Während meines Dili-Aufenthaltes war gerade ein Mitglied des Generalstabs der FALINTIL in Baucau nach einer Schußverletzung festgenommen worden und im Militärkrankenhaus von Dili durch Verabreichung einer todbringenden Injektion hingerichtet worden.
Ferner fanden in dieser Zeit (20./21. Juni 1997) Verhandlungen zwischen Portugal – vertreten durch Außenminister Jaime Gama – und Indonesien – vertreten durch Außenminister Ali Alatas – am Hauptsitz der VN in New York statt, ohne daß diese zu einem konkreten Ergebnis geführt hätten. Eine Einigung zwischen beiden Ländern ist bisher mit schier unüberwindlichen Hindernissen belastet. Während Indonesien Osttimor als 27. indonesische Provinz begreift und damit der Integration in den indonesischen Staatsverband das Wort redet, geht Portugal davon aus, daß die Entkolonisierung Osttimors nur durch einen Volksentscheid unter VN-Aufsicht bewirkt werden könne. Auch die Verleihung des Friedensnobelpreises 1996 an den katholischen Bischof von Dili Dom Carlos Filipe Ximenes Belo und den Exilpolitiker José Ramos-Horta haben die Lösung des Timor-Konflikts nicht vorangebracht. Dies hat mir Bischof Belo persönlich bestätigt. M.E. kann eine Entkrampfung der Beziehungen zwischen Portugal und Indonesien erst mit dem Einsetzen einer Demokratisierung des indonesischen Staates nach Beendigung der Suharto-Präsidentschaft Platz greifen.
Ein äußeres Zeichen des Protestes der timorischen Bevölkerung gegen die Willkürherrschaft des Suharto-Regimes war die große Anteilnahme der Bevölkerung an der Beerdigung eines Widerstandskämpfers im November 1991. Obwohl der Trauerzug sich friedlich zum Friedhof Santa Cruz bewegte, nahm das indonesische Militär diesen Massenauflauf zum Anlaß wahllos in die Trauergäste zu schießen. Die hohe Zahl der Todesopfer führte zur Abberufung des Militärkommandeurs für Osttimor. Schon wenig später machte Präsident Suharto diesen zu seinem Stellvertreter. Die Porträts von Präsident und Vizepräsident hängen als äußeres Zeichen der Unterwerfung in vielen Geschäften, Hotels, Speisewirtschaften und in allen Behördengebäuden.
Wenige Tage vor meinem Eintreffen in Dili war die Markthalle im Stadtzentrum von Dili bis auf das Eingangstor niedergebrannt. Der Brand ist bis heute unaufgeklärt. Doch wird der FRETILIN die Schuld dafür in die Schuhe geschoben.
Als hervorragende Persönlichkeit habe ich Pater Eduardo Brito von der katholischen Balide-Kirchengemeinde in Dili kennengelernt. Er stammt aus Margão/Goa und kam 1947 in einer Gruppe von 40 Priestern nach Osttimor. Nur drei Geistliche leben noch und wirken weiterhin in ihrer Wahlheimat. Für seine langjährigen Verdienste wurde Pater Brito 1995 von Gouverneur José Abílio Osório Soares geehrt und ihm bereits zu seinen Lebzeiten ein Denkmal gesetzt. Seine letzte Ruhe soll der Pater in einer Gruft vor diesem Denkmal finden.